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					"Willkommen im Ghetto"Bald schließt sich die Mauer um Bethlehem - Die Folgen für 
					die Stadt sind jetzt schon deutlich spürbar
 Johannes Zang
 DT vom 13.09.2005
 
  
					Bethlehem (DT) Bethlehems erstes und Jerusalems letztes Haus 
					sind nur wenige hundert Meter auseinander. Dazwischen 
					schiebt sich nun die Mauer. Zwischen die Zwillingsstädte, 
					die immer eine Einheit bildeten - zumindest eine gefühlte. 
					Man besteigt einen Mercedes-Minibus vom arabischen 
					Busbahnhof Jerusalems, keine fünf Gehminuten vom Damaskustor 
					entfernt. Nähert sich ein Ausländer dieser Kreuzung aus 
					Markt, Provinzbahnhof und Dorfplatz, rufen ihm von weitem 
					die auf Kisten sitzenden jungen Männer "Bethlehem?" zu. 
					Wasserpfeife schmauchend dirigieren sie einen in den 
					richtigen Bus: "Here, please." Ein anderer schiebt noch ein 
					"Du bist willkommen" nach. Er ahnt nicht, dass dieser Gruß 
					im Deutschen befremdet. Dreieinhalb Shekel verlangt der 
					Fahrer beim Einsteigen - etwas mehr als einen halben Euro - 
					während man bis vor kurzem noch das Fahrgeld während der 
					Fahrt nach vorne reichte. Damit ist nun Schluss - die 
					Stadtverwaltung von Jerusalem hat Ordnung verordnet, und 
					Fahrscheine eingeführt. Außerdem wurden an den neuerdings 
					nummerierten Minibussen Schilder mit dem Zielort angebracht. 
					Was gleich geblieben ist: Erst, wenn der letzte Platz im 
					Minibus besetzt ist, beginnt die Fahrt. Nach nicht einmal 
					fünfhundert Metern und einer Ampel wird diese unterbrochen. 
					Zwei israelische Soldatinnen haben per Handzeichen den Bus 
					zum Halten gebracht. Die eine blond, die andere mit krausem 
					Haar unter dem Birett, besteigen sie den Bus. "Ausweise!" 
					ruft die allem Anschein nach aus Äthiopien stammende 
					Israelin auf hebräisch. Das Wort "Bitte" ist hier 
					ebensowenig zu vernehmen wie "Guten Morgen!" Die Soldatinnen 
					sprechen in ihre Telefone - mit dem Ergebnis, dass einer die 
					Fahrt nicht fortsetzen darf. Ist er ein Sicherheitsrisiko? 
					Stammt er aus dem West- Jordanland und hielt sich ohne 
					Passierschein in Jerusalem auf, also illegal? Im Bus bleibt 
					es ruhig. Und schon geht es weiter in Richtung Bethlehem. 
					Auf etwa halber Strecke bremst der Fahrer erneut scharf ab. 
					Wieder wegen Soldatinnen. Dieses Mal dürfen jedoch alle 
					weiterfahren. Da, der israelische Kontrollpunkt. Aussteigen! 
					Endstation. Näher darf der Minibus nicht an den 
					Kontrollpunkt heranfahren. Etwa einhundert Meter sind noch 
					bis zum Kontrollpunkt zu laufen. Der Pfad steigt steil an 
					und führt um den Armeestützpunkt herum. Über allem thront 
					ein Wachturm. Die israelische Flagge flattert im Wind. Jetzt 
					liegt vor einem der überdachte Gang, in dessen Mitte eine 
					Handvoll Soldaten sitzen, lachen, plaudern. Erst auf das 
					Handzeichen des Soldaten darf man nähertreten. Dem Mann 
					vorne in der Schlange verwehren die Soldaten den Zutritt 
					nach Bethlehem - wegen seines Jerusalem-Ausweises. "Aber ich 
					wohne in Bethlehem", protestiert er. Die Soldaten verlangen 
					Beweise. Er legt die Stromrechnung seines Bethlehemer Hauses 
					vor. "Die ist ja auf arabisch. Bring uns eine Rechnung auf 
					hebräisch oder englisch und komme morgen wieder!" 
					Kopfschüttelnd und ohne weiteren Protest kehren der 
					Endvierziger und seine Gattin um. Der Kleidung nach zu 
					urteilen wollten sie ein Fest besuchen. Der Soldat winkt 
					wieder. Ein Blick auf das Visum - gültig. "Tov" - gut. Dann 
					tritt man durch einen Metalldetektor. Augenblicklich piepst 
					es. Noch fünfzig Meter und der überdachte Gang geht zu Ende. 
					Doch wo sind die Taxifahrer, die früher hier 
					geschäftstüchtig auf Kunden warteten? Und wo die vielen 
					Straßenhändler, die Fallafelbräter und Colaverkäufer? Wie 
					durch eine tote Zone geht man der Mauer entgegen. Wenn es 
					schon hier "tot" ist, was erwartet den Besucher dann 
					jenseits der Mauer? Kurz bevor man diese erreicht, fallen 
					linker Hand Barracken auf, umzäunt und schwer bewacht. Hier 
					soll, ähnlich wie am Erez-Übergangspunkt zum Gaza-Streifen, 
					in wenigen Wochen schon die Kontrolle noch genauer ablaufen 
					als bisher: mit Röntgengeräten und Spiegeln. Weiter geht es 
					der Mauer entgegen. Ronni Goodman, mit ihrem Mann Andrew, 
					Pfarrer in Birmingham, ist entsetzt. "Mauer für dieses 
					Ungetüm ist nicht das richtige Wort." Sie habe sich unter 
					Mauer eine Steinmauer, wie sie typisch für das Heilige Land 
					ist, vorgestellt. "Aber dies hier" - ihr fehlen die Worte. 
					"Amerikanisches Geld - israelische Apartheid" liest der 
					Besucher der Geburtsstadt Jesu beim Gang durch das noch 
					offene Tor. "Willkommen im Ghetto" steht auf der mausgrauen 
					Mauer. Dahinter lauert ein Dutzend Taxifahrer auf 
					Kundschaft. Außer deren knallgelben und orangenen Fahrzeugen 
					rührt sich hier nichts. Das Tanzlokal "Memories" ist ebenso 
					geschlossen wie der ehemals große Obst- und Gemüsemarkt. Das 
					Rattan-Korbgeschäft gegenüber ist mit grünen Stahltüren 
					verriegelt wie der Geflügelhändler. Im Laufe der 2. Intifada 
					hat dieses Viertel zwischen Kontrollpunkt und Rahelsgrab Zug 
					um Zug sein Leben ausgehaucht! Schon strömen die Taxifahrer 
					den drei Touristen entgegen. Ein Streit um die Reihenfolge 
					der Fahrer entbrennt. Einer der Schnauzbärte behauptet, 
					schon seit drei Uhr morgens zu warten, seit acht Stunden! 
					Ein anderer will derweil die Europäer in seinen grauen 
					Nostalgie-Mercedes locken. Worauf seine Kollegen sich 
					empören: Der hat doch gar keine Taxilizenz. Schon am 
					Ortseingang von Bethlehem wird eines deutlich: hier zählt 
					jeder Shekel, umgerechnet knapp zwanzig Euro-Cent. Abu Osama 
					macht das Rennen und begrüßt die Ausländer überschwänglich 
					in seinem zitronengelben Skoda. Wie teuer die Fahrt zur 
					Geburtskirche sei? "Soviel Ihr bezahlen wollt!" Er schlägt 
					vor, gleich den ganzen Tag mit ihm zu verbringen, die 
					Hirtenfelder zu besuchen, und ein Wüstenkloster obendrein. 
					Sein Bruder habe einen Souvenirladen und außerdem seien alle 
					zum Essen eingeladen. "Ohne Geld." Die Europäer bestehen 
					darauf, nur bis zur Geburtskirche zu fahren. Auch den von 
					Abu Osama angebotenen Führer für die Kirche lehnen sie 
					höflich ab. Doch auf dem Krippenplatz werden die Pilger 
					erneut umzingelt - von Souvenirhändlern und Kirchenführern. 
					Für eine halbe Stunde flüchten sich die Pilger in die 
					Geburtskirche. Wer weiß, vielleicht flehen sie den Beistand 
					des Heiligen Geistes herbei - für die Begegnung mit den 
					verzweifelten Bethlehemiten draußen vor der Kirche. Denn 
					dies ist seit dem Durchschreiten der Mauer klar: Bethlehem 
					bettelt.  |